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Corona hat den Herbst gestohlen – mit dem Motorrad in den Winter

Winter is Coming
Winter is Coming
Unterwegs mit Red R – Der Winter 2020 kommt

Wo ist denn der Herbst geblieben? Genau diese Frage habe ich mir gestern bei einer kurzen Spritztour mit Red R – meiner 23 Jahre alten BMW R1100 R – gestellt. Da ich den Motor des Motorrades, während der zwei Wochen meiner Quarantäne, neu eingestellt hatte, juckte es mich schon seit Tagen wieder ein paar Kilometer unter die zwei Räder zu bekommen. Ich war eigentlich schon immer ein „Alljahreszeitfahrer“ und da ich weder ein Auto noch eine gute Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel habe, bleibt mir ja ohnehin nichts anderes übrig. Warum ich indes selbst nach 12.000 Kilometern durch halb Europa noch nicht genug vom Reisen habe, ist auch mir unerklärlich. So oder so – als ich Mitte November das letzte Mal vor der Haustüre war, beim Joggen um den Wald, waren noch gelbe und rote Blätter auf den Bäumen zu sehen. Es war sonnig und auch durchaus freundlich für diese Jahreszeit. Irgendwie hatte ich mit der Quarantäne genau dieses Bild im Kopf behalten. Einen warmen Herbst, fliegende Blätter und eben jene Jahreszeit die Abschied vom Sommer nimmt und langsam in den Winter führen soll. Tatsächlich war ich die letzten 14 Tage fast nicht vor der Türe zu sehen. Stattdessen habe ich mich vor dem Computer verkrümelt, zu arbeiten gibt es schließlich immer genügend, und wenn dass nicht reicht kann man ja auch noch klar Schiff in den eigenen vier Wänden machen oder sich in der Werkstatt austoben. Bei letzterem war ich sogar ziemlich effizient. Schrauben und etwas Öl sind immer sehr gutmütig mit der Seele.

Meine Zeiten in Deutschland sind eigentlich immer stark von solchen Tätigkeiten geprägt, allerdings ist es schon was anderes, wenn man das Haus nicht mehr verlassen darf. Die Worte im Brief vom Gesundheitsamt sind dabei sehr deutlich. Übrigens mir geht es gut und ich bin gesund – sollte ich vielleicht einmal erwähnt haben an dieser Stelle. Der Virus hat mich bis jetzt bei seiner Jagd noch nicht erwischt. Toi toi – dafür durfte er sich in den Körpern von anderen Bekannten austoben. Was ich so höre ist das wirklich kein Spaß. Aber das hatte ich ja im letzten Newsletter schon thematisiert. Eigentlich hatte ich mich an mein Homeoffice in dieser Quarantäne sehr schnell gewöhnt. Da es mit Veranstaltungen gerade nicht so weit her ist und im Halblockdown ohnehin vieles geschlossen hat, war es ehrlich gesagt nicht wirklich eine große Umstellung.

Zurück zum Winter. Ich bin also seit gestern wieder frei. Mein erster Gedanke galt gleich meinem Motorrad und meiner Kameraausrüstung. Beides kombiniert sich bei mir ja schon seit Jahren.  Erst als ich bei dieser kleinen Spritztour die eisigen Finger und eine noch kältere Nase gespürt habe wurde mir klar, dass die Erde in den zwei Wochen nicht stehen geblieben ist. Natürlich bringt mich das wieder zum Nachdenken. In diesem komischen 2020 besteht auch weiterhin kein Mangel an Zeit dafür. Als durchaus naturverliebter Mensch liebe ich die vier Jahreszeiten, den Wechsel, das immer wieder Neue und die Vielseitigkeit, die damit einher kommt. Aber dieses Mal war mir der Wechsel dann doch etwas zu hart. Irgendwie hat Corona mir den Herbst gestohlen und mich in eine Zeitblase gesteckt, der man einfach nur entrinnen will. Und nach dem verlassen dieser Zeitblase waren die Eindrücke und Gefühle auf die Natur dort draußen plötzlich wesentlich stärker als man es eigentlich gewöhnt ist.

Ähnliche Gefühle kenne ich noch aus meiner Zeit als Polarforscher. Wir haben damals immer vom „Grünschock“ gesprochen. Das beschreibt jenes Gefühl das einen heimsucht, wenn man nach Monaten im endlosen Eis der Arktis oder Antarktis wieder zurück in die Heimat kommt. Insbesondere die grünen Farben der Natur waren dann immer sehr stark, weil man es über eine lange Zeit einfach nicht in seiner Wahrnehmung hatte. Gleiches gilt übrigen auch für große Menschenansammlungen. Normale Gespräche wurden plötzlich zu großem Lärm und all die Reize konnten einem ganz schön überfluten.

Nun – einen Schock hatte ich nicht wirklich, aber gestern hat mir mein kleiner Ausflug durchaus die Augen geöffnet. Ich fühlte mich so als wäre ich in einem neuen Land, einer neuen unbekannten Stadt gelandet. So als müsste ich jede neue Gasse und jeden neuen Winkel für mich erkunden, um das Neue aufzunehmen und daran wieder für mich selber zu lernen. Auch wenn die Fahrt nur kurz war, die Anzahl an Bildern mit meiner Nikon* gering. Ich kann mich selten zurück erinnern, dass mich die Vorboten des Winters so in ihren Bann gezogen haben. Die vielen kleinen Eiskristalle an den Ästen und Gräsern waren schon sehr ausgeprägt. Ständig dichter Nebel, Ruhe und ein leichtes Knistern in der Wäldern war zu hören. Das Laub ist also weg, die Straßen sind grau, die Tage kurz und wenn jetzt noch etwas Schnee fällt glaube ich es auch tatsächlich. Sind wir schon im Winter angekommen? Soweit der normale Wandel der Zeit…

Winter is Coming
Winter, Motorrad, Eis, Wald
Winter is Coming
Vereiste Äste
Winter is Coming
INRI am Wegrand

Wer wünscht sie sich nun nicht zurück, die „normalen Zeiten“. Damit meine ich nicht den Sommer sondern in diesem Fall jene Zeit vor dem Februar 2020. Noch immer kommt mir vieles was dort draußen passiert fremd vor. Aber gab es jene „normale Zeit“ überhaupt schon einmal?  Genau das frage ich mich, wenn ich so durch die vereisten Wälder fahre. Bei genauer Betrachtung war unsere Welt doch schon immer irgendwie verrückt und auf diese Art auch wieder schön und interessant.

Gesten kam es mir so vor als könnte ich an jeder Ecke, an jeder Stichstraße und in den Feldern ein neues kleines Abenteuer entdeckten. Und das nur weil ich ganz ungewollt einfach mehr Distanz dazu gefunden hatte als normalerweise. Nicht nur die eisigen Bäume, die Stimmung, der Nebel und das ein oder andere vorher unbeachtete Denkmal hüllten mich in beste Reisegedanken. Das ist insbesondere kurios, da alle Bilder hier keine 15 Kilometer von meinem Heimatdorf entstanden sind.

Und wenn ich alleine in der Natur stehe sind sie wieder da – die Träume von der weiten Welt und der ganz großen Freiheit. Manchmal erstaunt es mich immer wieder, wie viel man in der Heimat darüber lernen kann. Die Fahrt gestern warn einer jener kurzen Momente. Vielleicht ist es auch einfach mal gut sich zu verkriechen und in sich zu kehren. Gezwungen oder freiwillig. Danach kann sich die Welt um einen plötzlich in einem ganz anderen Licht präsentieren. Ich fahr heute auf jeden Fall gleich wieder los…

Und wie war euer Herbst eigentlich so?

Ich wünsche euch was!

Euer Martin

 

3 Kommentare on Corona hat den Herbst gestohlen – mit dem Motorrad in den Winter

  1. Ich finde, Krisen machen immer auch ein Angebot, Altes zu überdenken, sich Fragen zu stellen, wie zum Beispiel die von dir formulierte, ja warum es denn nach 12000 Reisekilometern immer noch nicht reicht. Das ist wirklich eine wichtige Frage, und du kannst sie dir ja einmal ernsthaft stellen. Solche Fragen bekommen Raum, wenn die Gewohnheiten ins Leere laufen. Ich finde deine Fotos sehr schön. Meditativ, vielleicht steckt in ihnen der andere, ruhende Blickwinkel.

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