Brasilien bereist sich irgendwie anders. Es ist weniger ein Reisen von A nach B, kein Reisen mit Start und Ziel, sondern mehr ein stetiges Fortbewegen, ein schwimmen im großen Ozean. Hier kann man sich so richtig schön treiben lassen, wohin auch immer die Strömung gerade führt. Deswegen kommt dieser Bericht chronologisch ziemlich unkorrekt daher. Es soll vielmehr eine spontane Zusammenfassung kleiner oder größerer Reiseerlebnisse sein. Zurückblickend kann ich überhaupt nicht verstehen, warum ich vor der Einreise nach Brasilien, solch einen großen Respekt vor dem Land hatte. All die Gewalt, Raub und Diebstahl. Ja – tatsächlich hab ich auch schon mehrere Reisende getroffen, welche hier im Land gewaltsam ausgeraubt wurden. Klar hat das Land seine bösen, aber eben auch x1000 Mal mehr freundliche und hilfsbereite Menschen. Mit geübter Vorsicht, aber keinesfalls Schüchtern, reist es sich hier meiner Meinung sehr sicher. Der Großteil der Gewaltverbrechen findet in den großen Städten, wie Sao Paulo und Rio de Janeiro, statt. Und dort dann auch oft in den verwinkelten Favelas, wo man als Tourist absolut gar nichts zu suchen hat. Hier in den kleinen Ortschaften Bahias fühl ich mich so sicher wie in manch einem kleinen Alpenstädtchen.
Bahia lädt zum Träumen ein, zum Leben und Nachdenken. Kein Ort um sich aus der Ruhe bringen zu lassen.
Brasilianische Ruhe
Zum Morgen. Ich will gerade los, schlüpfe unter dem Moskitonetz hervor, strecke mich ein wenig. Sonnenaufgang. Schnell noch die Kamera vorbereiten. Erste Nikon – Akku leer. Zweite Nikon – Akku leer. Ersatzakku eins – leer. Ersatzakku zwei – leer. Na toll! Schnell noch das Ladegerät anschießen, denk ich mir. Kaum in der Steckdose verabschiedet sich dieses mit einer kleinen Rauchwolke und etwas Gezische vor meinen noch müden Augen. Oh man. Läuft ja alles wieder prächtig heute! Zum Glück besitze ich ja noch ein zweites Ladegerät. An der Steckdose raucht und zischt dieses schon einmal nicht. Kontrollleuchte ist orange, was mir einen aktiven Ladezustand signalisiert. Gut – vielleicht wird es ja doch noch was mit der frühen Sonne. Ich lege mich noch kurz entspannt in die unmittelbar erreichbare Hängematte. Nur nicht zu viel Anstrengung zu solch früher Stunde. Ein Blick auf die Uhr. Erst fünf Uhr zum Morgen. Ich schließe die Augen und versetze die Matte mit einem kleinen Stoß in ein angenehmes Schaukeln. Nach einigen kurzen Minuten vernehme ich ein leises Piepsen und Knacken. Liegend öffne ich mein rechtes Auge. An der Wand steigt schwarzer Rauch in die Höhe. Ein leichter Plastikgeruch zieht an meiner Nase vorbei. Ich blicke auf die Ladeleuchte welche von orange auf grün und später auf schwarz wechselt. Tschsch, pieps, aus, tot. Auch das zweite Gerät hat sich offensichtlich verabschiedet. Das gibt’s doch nicht! Ok – dann eben nicht! Ich bin schlussendlich einsichtig und lasse das mit den Fotos fürs erste gut sein. Noch ein Nickerchen, noch etwas relaxen und bloß nicht aus der Ruhe bringen lassen. Während die Sonne am unweit entfernten Horizont rot erleuchtet, schaukelt meine Hängematte leicht im Wind und ich entschlafe in eine brasilianische Traumwelt. Träum ich doch besser vom Sonnenaufgang.
Andernorts vor einer Woche: Am Ende vom Strand, bei der Flussmündung. Wellen vom Fluss und dem offenen Meer brechen über einen kleinen Strandabschnitt gleichermaßen zusammen. Mit dem abfließenden Wasser bildet sich ab und an einen natürlichen Spiegel. Ein wunderschöner Wolkenhimmel erstreckt sich über der Kimm. Unweit hab ich mein Zelt aufgeschlagen. Längst bin ich auf den Füßen. Sechs Uhr zum Morgen. Mit der Musik des Meeres im Hintergrund spaziere ich kurz vor Sonnenaufgang langsam vor mich hin. Die Flut lässt noch auf sich warten. Mehrere kleine Fischerboote liegen wie im Halbschlaf auf der Seite. Ein paar Fischerleute bereiten zur frühen Stunde ihre Boote vor. Wir winken uns zu. Hier und da hört man es hämmern, ein Hund gähnt neben mir. Für gewöhnlich bin ich zu so früher Stunde meist alleine unterwegs. Eine Gruppe von vielleicht fünfzehn Personen sitzt bereist am Strand. Dummerweise genau bei der genannten Spiegelsandbank. Blöd – wollte ich doch heute versuchen das Spiegeln im Wasser mit meiner Kamera festzuhalten. Egal, denke ich mir, morgen ist auch noch ein Tag. Strand, Horizont und Meer bieten ja auch so genügend Freiraum. Ich schlendere gemütlich weiter.
Zehn Minuten bevor ich das rot am Himmel und in den Wolken erwarte, steht die Gruppe vereint auf und geht im Meer baden. Als stiller Beobachter steh ich etwas entfernt. Sie waschen sich gegenseitig die Haare, heben die Arme gemeinschaftlich gen Himmel und summen oder singen etwas vor sich hin. Irgendwie kommt mir das alles etwas sonderbar vor. Eine Sekte vielleicht? Ich spiele weiterhin den stillen Beobachter. Fünf Minuten später scheint das Bad beendet. Vereint verlässt die Gruppe das Wasser, trocknet sich ab. Gerade als die Wolken sich in das schönste Rot und Orange tauchen kehrt die Gruppe der Sonne den Rücken. Fast will ich Ihnen nachrufen! „Hey – das beste kommt doch erst noch!“ Aber nein – hab ich doch nun meine Sandbank zurück. Das schönste, der bunte Wolkenhimmel, zieht unbeachtet an Ihnen vorbei. Hoffentlich ist ihr Allmächtiger kein kleinkarierter Nörgler. „Leute – ihr wart zehn Minuten zu früh im Wasser! Das zählt nicht. Heute gibt’s keinen Segen für euch!“. Irgendwie amüsiert mich das Ganze. Aber was versteh ich schon von Religion. Jeder kann hier tun und lassen was er will.
Wie erwartet färben bunte Spiegelbilder der Wolken den nassen Strand. Ich schieße ein paar Fotos und erfreue mich am Anblick des weiten, rauschenden Meeres. Der Himmel färbt sich mehr und mehr gelb. Nun begebe auch ich mich noch in das „heilige“ Gewässer. Einfach nur aus Spaß und um etwas Bewegung zu haben. „Oh Allmächtiger ich bin zu spät!“ – preise ich den Himmel an. Ich muss laut lachen!
Die Kunst vom schönen Leben
Nahe zum Strand macht sich eine Gruppe zum Capoeira, einem brasilianischen Kampftanz, bereit. Die Kämpfe finden immer in einer Roda statt. Einem Kreis, welchen die Capoeiristas und einige Musiker bilden. Es spielen immer zwei Capoeiristas gleichzeitig, zeigen verschiedene Drehtritte, Akrobatiken und gewagte Sprünge. Gerade die Salti, welche oft mit verschiedenen Drehungen kombiniert werden, sind ziemlich beeindruckend. Auch wenn es wie ein Kampfsport aussieht, hat Gapoeira mehr mit einem traditionellen Tanz als mit einem Wettbewerb zu tun. Schon mehrmals konnte ich diesen verfolgen. Oft springen auch kleine Kinder vor der Roda durch die Luft. Die Musik spielt im endlosen Rhythmus dahin. Es wird Gesungen, über den Kampf und andere passende Themen. Auch wenn die athletischen Männer sicherlich die spektakulärsten Techniken zeigen, finden sich auch gemischte Gruppen beider Geschlechter und Altersgruppen im Kreis. Es ist ein gesellschaftliches Ereignis, was gerade hier in Bahia oft miterlebt werden kann. Capoeira ist ein Lebensstil. „Die Kunst vom schönen Leben!“, gibt mir einer der Tänzer zu verstehen. Ich bin einfach nur beeindruckt.
Die Musik ist ein wichtiger Teil des Capoeira. Typische Instrumente sind der Barimbau, ein einem Bogen ähnliches Saiteninstrument und mehrere Percussion. An der Barimbau konnte ich mich schon selber probieren. Meint man beim zusehen eine Seite spielt sich einfach, mit dem Kieselstein allerdings den richtigen Ton anzustimmen ist keine all zu einfach Kunst. Dann doch lieber die große Trommeln. Genau jene spielen die Brasilianer auch nur all zu gerne.
Hauptsache laut denke ich mir, als eine Sambaschule von vielleicht 100 Personen durch die Straßen zieht. Unermüdliches rhythmisches Getrommel, bis spät in die Nacht. Es wird getanzt. Sowohl in der Marschgruppe als auch am Straßenrand. Schwer zu beschreiben – das muss man miterlebt haben.
Abenteuer Straße
Als Motorradreisender ist ja bekanntlich auch der Weg das Ziel. An artgerechter Haltung fehlt es meiner KTM dieser Tage nicht wirklich. Wenngleich die meisten Straßen hier bestens asphaltiert sind, finden sich auch viele Sandpisten. Die Tage sind oft von kleinen und größeren Schauern geprägt. Schnell bilden sich große Matschlöcher, welche am besten zu umfahren sind. Mehrmals war ich nun schon einen halben Meter in der dreckigen Suppe gestanden. Die Distanzen von Stadt zu Stadt sind ziemlich beträchtlich. Es gibt also wieder viel Zeit unterm Helm über dies und das Nachzudenken. Die Landwirtschaft hat hier einen enormen Einfluss auf das Landschaftsbild genommen. An den Küsten zieht sich eine Linie der schönsten Sandstrände dahin. Etwas abseits dessen, weg von den Augen der Touristen, finden sich riesige Monokulturen. Weidezäune lassen es kaum zu spontan zu Campen. Das Gesamtbild ist also etwas negativ geprägt. Ich stelle mir immer vor wie es einst, vor der Kolonisation, hier ausgesehen haben muss. Momentan befinde ich mich noch südlich von Salvador. Entlang der Costa das Baleias, Walküste, reiht sich ein Sandstrand an den anderen. Auch findet sich noch etwas atlantischer Regenwald hier. Das mit dem „etwas“ ist leider fast schon eine schockierende Tatsache. Gerade einmal 5% des ursprünglichen atlantischen Regenwaldes existiert heute noch. Bei der Fahrt über Land wird dies auch mehr als deutlich.
Alltagsleben
Egal wo ich durch die Straße laufe. Ich treffe immer nur auf äußerst freundliche und hilfsbereite Menschen. Hier und da ergeben sich, trotz meiner begrenzten Sprachkenntnisse, kleine Gespräche. Sobald ich von meiner Herkunft berichte wird über das 7:1, Deutschland vs. Brasilien, diskutiert. Da hat sich in den Fussballherzen der Brasilianer ein wirkliches schwarzes Loch gebildet. „Verlieren ist ja OK – aber so?“ Als „Arschtritt“ der Deutschen wird das Spiel auch oft bezeichnet. Aber das Leben geht weiter. Es geht ruhig weiter. Die Menschen hier leben mit einer seelenruhigen Gelassenheit in den Tag, wie ich es so selten andernorts erlebt habe. Und nochmal – Alles nur nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Am Markt will ich mir Bananen kaufen. Nur wenige – hab ich doch keinen Platz im Motorradkoffer. Kein Problem – ein Geschenk. „Obrigado“. Kaffee – meist umsonst. „Obrigado“. Also man kann sich wirklich nicht beschweren. Erst kürzlich wurde ich mitten unterm Tag auf ein köstliches Mittagsmal eingeladen. Einfach so. Auch sind die Brasilianer keineswegs Fotoscheu. Ich denke an den Kokusnussverkäufer, welcher gleich seine brasilianische Flagge zückt, den Fahrradmechaniker, welcher sein Zweirad liebevoll bis in die kleinste Ritze reinigt. Immer ist Zeit für ein Foto. Eine nette Geste. Einfach Zeit zum Leben. Mir gefällt es hier.
Soviel von meiner Seite. Ich bin auf dem Weg ins Landesinnere. Und das ist Riesig.
Tschau
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Ach Bahia… In diesen Teil Brasiliens habe ich mich unsterblich verliebt. Die Sprache, der Tanz, die Musik, die Mensche, das Essen und vor allem auch die Literatur. Hach, da kann ich nur schwärmen…
Danke für deine Worte und deine Bilder!
Martin,
danke danke vielen dank fuer deinn kurzen aber sehr feinen Gedanken-Schwank ‚Spiegelstrand‘. Du hast mich lauthals zum lachen gebracht und mir sind fast die Traenen gekommen. Ich danke dir und der Sandbank.
Liebe Gruesse
F