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Im Interview – Naturfotograf Stefan Christmann

Stefan Christmann

Stefan Christmann

Eine neue Serie auf Freiheitenwelt:   Abenteuerfotografen!

 

In regelmäßigen Abständen will ich euch Menschen vorstellen, welche sich in irgendeiner Form intensiver mit der Fotografie auseinander setzen und diese mit ihren persönlichen Abenteuern kombinieren. Abenteuer ist an diese Stelle natürlich ein ziemlich weitreichender und flexibler Begriff. Es ist der Gedanke der zählt! Immer wieder lerne ich neue Fotografen, Reisende, Abenteurer und Weltenbummler kennen. Es sind Menschen die mich inspirieren und meinen Blick durch den Sucher auf die Welt verändern. Einige exzellente Fotografen konnte ich schon via E-Mail zum Interview bitten und die Antworten auf meine Fragen sind wirklich sehr interessant. Bald werden ihr auch einen eigenen Menüreiter dafür finden, wo alle Interviewpartner aufgelistet werden.

Anfangen möchte ich mit Stefan Christmann. Stefan ist Natur- und Landschaftsfotograf aus Leidenschaft. Seine Bilder haben mich sofort zutiefst beeindruckt. Er hat ein großes Talent RUHE in seine Arbeiten einfließen zu lassen. Tolle Bilder hat er mir bereitgestellt, die ich auch natürlich nicht vorenthalten will.

Aber genug von mir! Hier das tolle Interview. Vielen Dank an Stefan für die umfangreichen Antworten.

 

Mehr über Stefan findet ihr hier:

Stefan_Christmann_Avatar

 

 

Folgt ihm und schaut unbedingt auf seiner Homepage vorbei!

 

 

Interview:

Stefan Christmann

Stefan Christmann

 

Freiheitenwelt:
Wenn man deine Bilder sieht fällt sofort auf, dass du Natur- und Landschaftsfotografie mit Leidenschaft betreibst. Wie bist du zur Fotografie gekommen und was genau begeistert dich am meisten daran? Wie lange fotografierst du schon?

Stefan Christmann:
Zur Fotografie kam ich durch einen Schüleraustausch mit dem amerikanischen Bundesstaat Montana in der 12. Klasse – relativ spät also im Jahr 2002. Damals besuchten wir unter anderem dem Yellowstone National Park und ich hatte lediglich eine kompakte (aber digitale) Kompaktkamera dabei. Natürlich konnte ich den grandiosen Landschaften und Lichtstimmungen und den tollen Tieren mit Bildern nicht genüge tun, was mich aber dazu motivierte mich näher mit der Fotografie zu beschäftigen. Mein Vater hatte in seiner Jugend selbst fotografiert und eine voll manuelle Minolta SRT-303b Spiegelreflexkamera samt einiger Objektive, die ich darauf hin zur bewussten Fotografie einsetzte. Dabei trieb es mich immer wieder hinaus in die Natur, wo ich regelmäßig neue Dinge sah, neue Lichtstimmungen erlebte und begann viele der kleinen Dinge am Wegesrand mit anderen Augen zu sehen. Besonders faszinierte mich dabei die Schnelligkeit mit der man manchmal zur Stelle sein muss, da sich in der Natur nichts planen lässt und viele tolle Augenblicke nur kurz andauern und danach nie mehr wiederkehren. Diese Faszination hat mich in meinen bisherigen 13 Jahren aktiver Fotografie nie mehr losgelassen und lässt mich auch heute noch vor Sonnenaufgang aufstehen, um auch ja das dramatische Fotolicht nicht zu verpassen.

 

Freiheitenwelt:
Du bist so oft es dir möglich ist auf Reisen und bringst immer diese tollen Bilder mit in die Heimat. Wie genau bereitest du dich auf deine kleinen Abenteuer vor? In wie weit beeinflusst dich deine Fotografie bei der Reiseplanung?

Stefan Christmann:
In der Regel beeinflusst mich die Fotografie sehr bei meiner Reiseplanung. Genauer muss ich sogar sagen, dass es sich bei meinen Reisen in der Regel auch um meinen Urlaub handelt, da ich nicht hauptberuflich fotografiere. Ich suche also Reiseziele gemeinsam mit meiner Lebensgefährtin so aus, dass ich während unserer Reise auch immer wieder fotografieren kann. Meistens richte ich das Hauptaugenmerk dabei auf ein ganz bestimmtes Thema wie eine Tier- oder Pflanzenart oder einen bestimmten Typ Landschaft. Den Rest der Reise bauen wir dann um diese Thematik herum auf mit genug Abwechslung für uns beide. Auch die Jahreszeiten in denen wir verreisen richten sich oftmals nach diesem zentralen Thema. Dabei kann ich mich glücklich schätzen, dass meine Lebensgefährtin mich bei der Fotografie vollkommen unterstützt und trotz ihrer Abneigung gegen Kälte gerne auch mal mit mir an kalte Orte verreist.

Als Vorbereitung nutze ich dann meist das Internet in dem ich einfach mal durch bereits vorhandene Bilder klicke. Dabei entstehen in der Regel eigene Bilder dieser Orte in meinem Kopf und ich versuche mir vorab vor Augen zu führen was mich fotografisch dort erwarten wird. Je nachdem ob der Urlaub sehr wanderlastig wird mache ich mir dann auch früh genug Gedanken um die Gepäckmenge und die Ausrüstung, die ich dabei haben möchte und ob ich zum schweren, stabilen oder zum kleinen, leichten Stativ greife.

 

 

Freiheitenwelt:
Dein Bilder sind einfach klasse. Mit welchem Equipment bist du unterwegs? Was ist dein Lieblingssetup?

Stefan Christmann:
Danke! Momentan fotografiere ich mit einer Nikon D800 und Brennweiten im Bereich von 14-500mm. Vorher hatte ich eine D700, die ich wirklich geliebt habe. Eine tolle Kamera. Die D800 habe ich auch in mein Herz geschlossen, aber sie fordert einen Fotografen schon sehr. Weder die Optik noch der Fotograf darf sich beim Handling Schwäche zeigen, sonst werden die Bilder direkt unscharf. Wenn man aber dann ein gut belichtetes und scharfes Foto hinbekommt ist die Qualität der 36MP einfach überragend und man kann im Grunde genommen alles mit dem Bildmaterial machen. Vom großformatigen Ausdruck bis hin zum kleinen Webbild hat man äußerst variable Rohdaten.

In Sachen Lieblingssetup habe ich definitiv mindestens 2. Meine D800 mit dem 14-24mm f/2.8 von Nikon ist für Landschaften ein wahrer Traum. Die D800 in Kombination mit dem 500mm f/4 benutze ich am liebsten für Vögel und um 2 dimensionale, flache Landschaften zu fotografieren. Das Handling ist natürlich für beide Setups vollkommen unterschiedlich. Während man mit dem 14-24mm auch mal frei Hand fotografieren kann (obwohl ich das bei Landschaften in der Regel nicht mache) oder einen Kugelkopf benutzt, benutze ich beim 500er einen Fluidneiger von Sachtler. Auch die Art und Flexibilität der Fotografie ist sehr unterschiedlich. Das 500er zum Beispiel würde ich sicherlich nicht gerne auf eine lange Bergwandertour mitnehmen und auch das Stativ, das man für eine solche Brennweite brauch würde mir schnell den Rücken schmerzen lassen.

 

Freiheitenwelt:
Deine Bilder wirken auf mich oft sehr ruhig! Als könntest du mehr Zeit in einem einzigen Bild festhalten als so manch anderer Fotograf. Wie machst du das? Welche Gedanken beschäftigen dich während des Prozesses der Fotografie? Vom Klick des Auslösers bis zum fertigen Bild!

Stefan Christmann:
Ich kann nicht genau sagen, wie ich das mache. Ich bin ein absoluter Instinktfotograf und mache mir meistens erst nach der Aufnahme Gedanken über den Bildaufbau. Im Ernst: bei Landschaften bemühe ich mich schon immer um eine spannende Linienführung und die Ausblendung von störenden Elementen im Bild. Beim Fotografieren von Tieren und insbesondere Vögeln hat man jedoch selten Zeit ein Bild mit Ruhe und Bedacht zu komponieren. Hier fotografiere ich so, wie mir die Szene gefällt. Oftmals habe ich später Fotos die dann am Bildschirm doch nicht mehr so gut aussehen, wie sie mir im Sucher vorkamen. Ganz oft decken sich aber mein Eindruck durch den Sucher und mein Eindruck am Monitor. Prinzipiell würde ich jedem Fotografen raten die grundlegenden Regeln der Gestaltung zu lernen – Dinge wie Drittelaufteilung, goldener Schnitt oder negative Space spielen dabei eine wichtige Rolle – aber ultimativ sollte jeder so fotografieren wie es ihm/ihr gefällt, denn nur dann bekommen wir viel spannende Abwechslung und neue Bilder von „alten“ Motiven. Negative Space ist jedoch ein Konzept, das in meinen Bildern sehr häufig zum Einsatz kommt, da ich einfach ein großer Fan von Platz bin. Vielleicht wirken deshalb viele meiner Bilder so ruhig. Das Motiv hat meistens Platz sich zu bewegen, umherzuschauen und wird nicht durch andere Elemente im Bild bedrängt oder eingeengt. Vielleicht wirken meine Bilder aber auch ruhig, weil ich jobbedingt während des Jahres viel Hektik und positiven Stress habe. Die Fotografie ist für mich in erster Linie ein Ausgleich und ein Hobby in dem ich voll und ganz meinem Bauch vertrauen kann und nicht meinem Kopf vertrauen muss. Zwei Dinge an die ich jedoch fast immer denke: „Das Motiv raus aus der Mitte, es sei denn es ergibt sich eine ganz spannende Symmetrie“ und „Möglichst auf Augenhöhe mit dem Motiv“, auch wenn das bedeutet, dass ich mich bäuchlings in die nächste Pfütze legen muss :).

 

Stefan Christmann Stefan Christmann

 

Freiheitenwelt:
Nebst der Fotografie musst du wie die meisten arbeiten. Wer deine Bilder kennt, dem fallen sofort die vielen Pinguinbilder auf. Wie bist du dazu gekommen?

Stefan Christmann:
Zur Zeit arbeite ich als Elektronik-Entwicklungsingenieur für eine Tochterfirma der Audi AG und kümmere mich schwerpunktmäßig um den Bereich Kamera und Bildgebung im Fahrzeug. Vorher war ich jedoch als Überwinterer im Bereich Geophysik auf der Neumayer Station in der Antarktis beim Alfred Wegener Institut (AWI) tätig. Die Stelle war auf zwei Jahre befristet und das beste, was ich unmittelbar nach meinem Studium hätte machen können. Gemeinsam mit acht weiteren Teammitgliedern habe ich im Rahmen dieser Arbeit 15 Monate auf der Neumayer-III Station in der Antarktis gelebt und gearbeitet. Glücklicherweise hatten wir dabei in der sogenannten Atka-Bucht eine der größten Kaiserpinguinkolonien der Antarktis direkt vor der Haustür. Mit ca. 8000-9000 Tieren zählt diese Kolonie zu den zehn größten Kaiserpinguinkolonien auf dem Kontinent und war natürlich in unserer Freizeit das liebste Ausflugsziel. Die vielen Pinguinbilder sind also während meiner Zeit auf Neumayer entstanden und aus meiner Begeisterung, die ich für diese einmaligen Vögel entwickelt habe. Auch wenn die Antarktis ein faszinierender und wunderschöner Ort ist sind 15 Monate sehr lang und manchmal schien die Zeit einfach nicht zu vergehen – insbesondere in den vielen stürmischen Wochen des südpolaren Frühlings. Jede Stunde, die wir in der Pinguinkolonie verbringen konnte fühlte sich jedoch nur wie wenige Minuten an, so abwechslungsreich und spannend war das Leben dieser Tiere.

Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass meine Faszination für die Antarktis und der Gedanke daran dort über einen langen Zeitraum hinweg fotografieren zu können mit ausschlaggebend für meine Bewerbung beim AWI gewesen ist. Somit plane ich nicht nur meine Urlaube um mein Hobby herum sondern auch meine Jobs ;).

 

Stefan Christmann
Freiheitenwelt:
Bleiben wir bei der Antarktis. Wie war es für dich über solch lange Zeit in dieser doch unwirklichen Welt zu leben? Wie hat die Antarktis deine Art zu fotografieren geändert?

Stefan Christmann:
Unwirklich ist genau das richtige Wort. Ein bisschen fühlt es sich so an als wäre man auf einem anderen Planeten. In der Antarktis gibt es keine Bäume oder Pflanzen die höher wachsen als ein paar Millimeter. An Neumayer ist die Situation sogar noch ein bisschen extremer. Die Station steht auf dem sogenannten Schelfeis. Das ist der Teil des antarktischen Gletschers, der schon nicht mehr auf festen Landmassen aufliegt sondern auf dem Meer aufschwimmt, aber immer noch mit dem Gletscher verbunden ist. Im Klartext bedeutet das, das Neumayer auf einer Schicht Eis steht, die ca. 300m dick ist und nur vom Ozean unterstützt wird. Um uns herum gab es also weder Berge noch sonstige Steine oder Landmassen. Nichts als Eis und Schnee und flache Landschaft soweit das Auge reicht. Die einzigen Erhebungen, die wir in unserer unmittelbaren Umgebung hatten waren ein paar gestrandete Eisberge in der Atka-Bucht, die irgendwann einmal als gekalbtes Eis vom Schelfeis abgebrochen und in die Bucht getrieben sind.

Fotografisch stellte mich das zunächst vor die Herausforderung eine Perspektive zu finden, mit der ich die schier unendliche Weite einfangen konnte, ohne das meine Bilder alle gleich aussahen. Hätte ich mich an die klassischen Regeln gehalten dann wäre die stets gerade Horizontlinie mit der man dort unten kämpfen muss stets auf Höhe ein Drittel oder zwei Drittel durch das Bild gelaufen. Ich brauchte eine ganze Weile um mich mit der neuen Umgebung vertraut zu machen und ihre Eigenarten und unglaubliche Schönheit für mich zu entdecken. Am meisten hat mich dabei die Ruhe und die Einsamkeit fasziniert. Genau diesen Aspekt versuche ich auch in beiden Bildern herauszustellen. In der Pinguinkolonie stehen oftmals hunderte oder gar tausende von Vögeln dicht gepackt in einer Gruppe aber wenn man in die Ferne schaut, gibt es immer wieder einzelne Tiere die gerade auf dem Weg zum Meer sind und mit ihren kurzen Füßen einsam in die Weite laufen. Natürlich handelt es sich sehr wahrscheinlich um ein rein menschliches Gefühl bei der Einsamkeit, doch ist es oftmals genau diese Emotion, die meine Bilder übermitteln sollen. Mittlerweile ertappe ich mich auch in unseren Breiten dabei genau dieses Gefühl in Bildern transportieren zu wollen. Aus diesem Grund versuche ich stets störende Elemente aus den Bildern herauszuhalten oder Hintergründe so zu wählen, dass sie Ruhe ausstrahlen.

 

Stefan Christmann Stefan Christmann

 

Freiheitenwelt:
Was begeistert dich am meisten an der Antarktis, dem vielen Eis und den Pinguinen?

Stefan Christmann:
Ich glaube am meisten haben mich das Wetter und die Naturgewalten dort fasziniert. Manchmal konnte man tagelang die Station nicht verlassen, weil draußen ein erbarmungsloser Sturm tobte. Damit die Station nicht nach und nach im Schnee versinkt, steht sie auf Stelzen, die sich hydraulisch nach oben fahren lassen. Wenn Stürme besonders stark waren fing die gesamte Station an zu wackeln – teilweise über mehrere Tage oder gar Wochen hinweg. Nach den Stürmen musste dann Equipment, dass sich noch draußen befand erst einmal ausgegraben und wieder vom Schnee befreit werden. Auch musste der ganze Schnee, der sich vor unserer Eingangstür und rund um das Stationsgelände gesammelt hatte wieder beseitigt werden, was in der Regel 2-3 Leute mehrere Tage beschäftige. Mehr als einmal kündigte sich dann auch bereits der nächste Sturm an nachdem gerade wieder alles aufgeräumt war. Es kam einem vor wie reine Sisyphusarbeit. Neben den Stürmen war auch die extreme Kälte sehr beeindruckend. Zum Teil nutzen wir zur Markierung von Messgeräten im Feld metallene Balisenstangen, die zwar innen hohl sind, aber immerhin Wandstärken von 3-4mm besitzen. Bei -40°C wurden diese jedoch so spröde, dass sie bereits bei leichter mechanischer Beanspruchung zerbrachen. Generell reagieren Maschinen und mechanische Teile sehr empfindlich auf Kälte. Schmieröl beispielsweise bekommt eine Konsistenz die eher Honig ähnelt, so dass man sehr darauf achtgeben muss einen Motor vor dem Starten erst vorzuheizen. Die Antarktis ist einer der wenigen Ort, den der Mensch nicht durch seine Technologie bezwingen kann. Ich habe daher immer gerne gesagt, dass die Antarktis den Menschen formt und nicht der Mensch die Antarktis.

Neben den immensen Naturgewalten hat mich aber auch die Einsamkeit sehr beeindruckt. Besonders in der Winterzeit, während der sogenannten Isolation, sind die neun Überwinterer vollkommen allein in der Atka-Bucht. Nicht einmal das gelegentliche Flugzeug, das Kondensstreifen am Himmel hinterlässt kann man sehen. Jeder Zeit muss man sich darüber bewusst sein, dass einem hier nur die Mitüberwinterer helfen können, falls etwas geschieht. Das wurde uns insbesondere klar als eines Tages urplötzlich der Feueralarm der Station erklang. Binnen weniger Minuten standen wir mit Atemschutzgerät und Feuerlöscher am Sammelpunkt und jeder hoffte, dass es sich um einen falschen Alarm handelte. Als wir dann durch die geschlossene Glastür in den Flur schauten konnten wir jedoch Rauchschwaden aus dem Funkbüro aufsteigen sehen und jedem wurde der Ernst der Lage bewusst. Letztlich handelte es sich glücklicherweise nur um einen explodierten Lithium-Ionen Akku und wir konnten die Situation schnell entschärfen. Hätte es sich jedoch um einen echten Brand gehandelt hätten wir die gesamte Station und damit unseren Schutz vor dem Wetter verlieren können.

Fotografisch haben mich neben den Pinguinen natürlich die grandiosen Lichtstimmungen insbesondere während und kurz nach der Polarnacht fasziniert. Am schönsten war es, wenn ein leichter Wind den lockeren Firn über den Boden hinweg driften lies. Entgegen den meisten Vorstellungen ist der Boden in der Antarktis nicht einfach nur glatt und weiß sondern durch den ständigen Wind kunstvoll strukturiert und von vielen spitzen Zacken und Kanten durchzogen, die sogenannten Sastrugi. Beim Windphänomen des Bodenfegens, das bei Windstärken ab ca. 15-20 Knoten beginnt, bewegen sich kleine Schwaden aus Schneekristallen wie Schlangen im Zickzack-Kurs durch ein Labyrinth aus diesen wunderschönen Eisstrukturen. Wenn nun noch die Sonne tief am Horizont steht beginnen diese Schlangen zu leuchten und ziehen wie leuchte Bänder durch die schattigen Täler benachbarter Sastrugi. Es ist einfach wunderschön anzuschauen und zu fotografieren. Teilweise möchte man sich nicht mehr von seinem Standpunkt wegbewegen, da man mit jedem Schritt den man auf diesem kunstvoll dekorierten Boden macht einige der Sastrugi zerstört. Einen Sturm später sind die hinterlassenen Fußspuren dann jedoch meist wieder von neuen Sastrugi überdeckt. Ich glaube ich könnte noch stundenlang weiter schwärmen :).

 

Freiheitenwelt:
Wir kennen uns ja auch persönlich. Zum ersten Mal waren wir uns in Kapstadt begegnet. Beide waren wir gerade auf der Rückreise aus der Antarktis. Du warst 15 Monate auf dem Kontinent. Im Shuttle zum Hotel hast du im Gedanken lange die vorbeiziehende Stadt beobachtet! Was genau ging dir in diesem Moment durch den Kopf?

Stefan Christmann:
Ich glaube mir wurde in diesem Augenblick erst bewusst, dass ich wirklich die letzten 15 Monate am Ende der Welt verbracht hatte. Emotional war ich vollkommen hin und hergerissen. In erste Linie freute ich mich unendlich darauf endlich meine Lebensgefährtin wieder zu sehen, die 15 Monate lang auf mich gewartet hatte und auch meine Eltern endlich wieder in den Arm zu nehmen. Gleichzeitig dachte ich aber auch an unsere letzte Skidooausfahrt und an das Meereis. Die Antarktis war für uns eine richtige Heimat geworden – wir kannten jede Eisspalte auf dem Eis, jede Schneewehe und jeder Eisberg hatten eigene Namen. Nun fuhren wir durch Kapstadt und der Lebenstraum „Antarktis“, den ich gelebt hatte, war plötzlich vorbei.

Das Wort plötzlich mag unpassend klingen, wenn man von einem Zeitraum von 15 Monaten spricht und dennoch fühlte es sich genau so an. Dabei waren insbesondere die letzten 2-3 Monate auf Neumayer alles andere als einfach. In der Kernzeit der Überwinterung ist man zu Neunt und man gewöhnt sich einen Tagesrythmus an, der einem hilft die Zeit der Einsamkeit gut zu überstehen. Mit dem ersten Flieger, der nach dem Winter landet kommen jedoch jede Menge fremder Menschen an Station. Plötzlich ist es beim Essen wieder laut und die Duschen sind belegt wenn man ins Bad kommt. Auch das Zimmer muss man sich wieder mit jemand teilen und man hat keinerlei Privatsphäre mehr. Das setzt einem dann schon ein bisschen zu, da auch die Überwinterung viel Energie gekostet hat.
Und trotz dieser schwierigen Zeit am Ende der Überwinterung überwog die Wehmut und die Gedanken an all die Dinge, die man noch tun wollte, die Bilder die man noch machen wollte, und so weiter. Jetzt waren wir wieder zurück in der Zivilisation, wo alles noch genau so aussah wie vorher und wo für die meisten der Menschen eben „nur“ ein Jahr vergangen war aber sich nichts grundlegend geändert hatte. Ich hatte als einer der wenigen privilegierten Menschen auf dem Planeten ein vollkommen anderes Leben am Ende der Welt gelebt. Das wurde mir in dieser Fahrt zum Hotel plötzlich glasklar.
Stefan Christmann
Freiheitenwelt:
Hast du neue Ziele, neue Projekte, neue Fotografien in Aussicht?

Stefan Christmann:
Größere Projekte stehen zur Zeit leider nicht an. Dafür bin ich mit meinem momentanen Job leider zu ausgelastet. Ich werde jedoch auch weiterhin versuchen während meiner Urlaube viel zu fotografieren und Geschichten mit nach Hause zu bringen. Als nächstes soll es nach Island und nach Schottland gehen. Natürlich immer nur für ein paar Tage oder wenige Wochen. Entsprechend gut muss man sich also auch auf diese Reisen vorbereiten. Ob ich jemals noch einmal die Chance haben werde mich auf einen fremden Ort wie die Antarktis so intensiv einzulassen kann ich jedoch nicht sagen. Das war schon etwas besonderes und hat mir ermöglicht meine ganze eigene Sichtweise dieser fremden Welt zu entwickeln und mit Interessierten zu teilen.

 

Freiheitenwelt:
Welche Orte, die du bis jetzt besucht hast, würdest du anderen Naturfotografen wärmstens empfehlen? Es muss ja nicht gleich die Antarktis sein.

Stefan Christmann:
Zu allererst sollte jeder Fotograf einfach mal vor seiner Haustür nach spannenden Dingen suchen. Ehrlicherweise muss man sagen, dass unsere heimische Flora und Fauna wirklich extrem vielfältig und abwechslungsreich ist. Erst wenn man „seine eigene“ Blumenwiesen, Bäche und Seen kennt wird einem klar wie viele fotografische Gelegenheiten sich bieten, ohne dass man je in ein Flugzeug steigen oder viel Geld für eine Reise ausgeben muss.

Soll es dann doch mal etwas weiter weg gehen, kann ich jedem den Yellowstone National Park empfehlen – vor allen Dingen im Winter. Der Park gehört mit zu den abwechslungsreichsten Fotogebieten, die ich je bereist habe und von der Berglandschaft über die Steppe bis hin zu Seen und Geysiren bietet sie sowohl Landschafts- als auch Tierfotografen eine unendliche Anzahl an Motiven und Lichtstimmungen. Leider ist der Park insbesondere im Sommer sehr von Touristen überlaufen, so dass man wirklich versuchen sollte außerhalb der Hochsaisons dort unterwegs zu sein. Besonders im Winter ist es dann meist menschenleer und die Landschaft durch große Mengen von Schnee auf ihr minimales Erscheinungsbild reduziert. Hier lassen sich dann auch Bilder mit einem gewissen künstlerischen Anspruch umsetzen und auch die Einsamkeit und der Überlebenskampf der Tiere lässt sich fotografisch thematisieren.

 

Stefan Christmann Stefan Christmann

 

Freiheitenwelt:
Zum Schluss – noch einmal! Deine Bilder sind absolutes Profiniveau. Planst du eventuell auch ein Buch oder Ausstellung deiner Werke? Kannst du damit nicht evtl. deine Ausrüstung und mehr finanzieren?

Stefan Christmann:
Ausstellungen und Bildveröffentlichungen habe ich schon einige, so das auch immer mal wieder ein bisschen Geld in die Fotokasse kommt. In der Regel ist das aber bei den Preisen für Kameras, Objektive und Stative schnell wieder ausgegeben. Momentan habe ich einige meiner Antarktisbilder bei Agenturen und halte auch hier und da Vorträge auf Naturfotofestivals.

Ein kleiner Traum von mir wäre wirklich ein Buch von meiner Zeit in der Antarktis zu erstellen. In erster Linie ein Bildband, aber gespickt mit Erfahrungsberichten und Anekdoten von mir besonders im Gedächtnis gebliebenen Ereignissen. Ich bekomme beispielsweise heute noch Gänsehaut wenn ich den Abend zurückdenke an dem wir auf dem Meereis standen und nach Wochen des polaren Winters die Kaiserpinguinweibchen vom Meer zurückkehrten, um ihre Männchen bei der Aufzucht ihrer Jungen zu unterstützen. In der Ferne konnte man ihre weißen Bäuche im Licht der untergehenden Sonne glitzern sehen und die im Huddle stehenden Männchen wurden urplötzlich unruhig und begannen aufgeregt zu trompeten. Man hatte das Gefühl, dass sich eine richtige Freude unter ihnen ausbreitete. Leider lässt sich ein solches Buchprojekt nicht so einfach nebenberuflich umsetzen, zumal ich auch noch keine Zusage von einem Verlag hätte. Aber wer weiß: vielleicht liest ja ein Verantwortlicher dieses Interview und sieht die Bilder. Ich freue mich über jede Kontaktaufnahme. :)

Freiheitenwelt: Vielen Dank!

 


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