Auf in die Berge Patagoniens! Nach mittlerweile mehr als 12000 Kilometern auf zwei Rädern, war es höchste Zeit für mich, dass Motorrad für eine Weile stehen zu lassen und den Rucksack auszupacken. Derzeit verbringe ich wunderbare Tage auf einer Farm, nahe des kleinen Ortes El Bolson/Argentinien. Von dort aus lachen mich täglich die Berge nahe des Rio Azul an. Genau zwei davon, um genau zu sein. Der Cerro Hielo Azul (2000m) und der Cerro Dedo Gordo (1981m). Neben den Beiden genannten ragen noch dutzende mehr, mitunter schneebedeckte, Berge in die Höhe. Alle inmitten des Naturschutzgebietes „Rio Azul – Lago Econdido“. Die Trackingkarte der Touristeninformation ist wirklich sehr gut gemacht und bietet alle nötigen Informationen. Die Planung gestaltet sich somit ziemlich einfach und schnell ist eine Zweitagesroute gesteckt. Der Dedo Gordo soll es als erstes sein, irgendwo muss man auch einfach mal anfangen.
Wir, drei Jungs aus Deutschland (Lennart, Felix, Jakob) und ich, machen uns mit den vollgepackten Rucksäcken auf den Weg. Die Anfahrt nach Wharton, dem Ausgangspunkt für viele Wandertouren durch die Berge El Bolsons, dauert etwas weniger als eine Stunde. Bei einer kleinen Hütte müssen wir uns für die Wandertour registrieren. Danach geht es auch schon los!
Ziemlich locker folgen wir den gut befestigten Wegen bis zum Ufer des Rio Azul. Dort angekommen wartet eine ziemlich abenteuerliche Hängebrücke auf uns. Sicherlich nicht für Jedermann gemacht. Manche der Bretter sind schon durchgetreten, quietschen und knarzen bei der Begehung. Die wacklige Konstruktion ist ziemlich unheimlich und keinesfalls vertrauenswürdig. So mancher Wanderer erreicht die andere Seite des Ufers auf ziemlich wackeligen Beinen.
Nach der Brücke teilen sich die Wanderwege. Je nach Lust und Laune kann man einfachen bis sehr anspruchsvollen Routen folgen. Unsere erste Etappe, zum Refugio Dedo Gordo, ist tiefrot in der Karte eingezeichnet. Also nicht unbedingt markiert, als eine der lockeren Wanderungen, zum Sonntag Nachmittag, nach der Kaffeepause. Aber wir sind ja schließlich alle noch jung und fit! Noch im Tal, ist die Landschaft von dichten Wäldern geprägt. Durch den Regen der letzten Tage ist es sehr feucht und die ganze Flora steht im Saft. Umgeben von frischem Grün marschieren wir den Pfad entlang. Mehrere Flussläufe müssen überquert werden. Einige davon erfordern viel Balance, dicke Felsen müssen besprungen, glitschige Baumstämme übergangen oder matschige Umwege gefunden werden.
Der Wald wird nicht beforstet und somit sterben alte Bäume auf natürlichem Wege ab. Eine Unmenge von Baumstämmen liegen quer über der Straße. Einer davon ist fast einen Meter dick und bietet gerade genügend Platz, um hindurch zu kriechen. Die Route ist also angenehm abenteuerlich. Manche Lichtung gibt den Blick auf die entfernten Berge, der anderen Seite des Tals um El Bolson, frei. Der Himmel ist noch immer von dichten Wolken geprägt. Patagonien zeigt sich somit von seiner besten Seite.
Bis zur Berghütte ändert sich das Landschaftsbild nur unwesentlich. Zum späten Nachmittag begrüßt uns ein netter „Refugiero“. Die Hütte ist klein, scheint auf den ersten Eindruck etwas heruntergekommen. Es gibt keine Fenster aus Glas, durchsichtige Plastikplanen dienen als Windschutz. Aber ungemütlich ist es keineswegs! Ein kleiner Metallofen sorgt für die nötige Wärme. Zusätzlich macht uns ein heißer Begrüßungsmate oder -kaffee wieder munter. Etwas später gesellt sich noch ein Pärchen aus Buenos Aires hinzu. Somit teilen wir uns die kleine Hütte zu sechst. Die „Liegewiese“ im Dachboden ist bequem und bietet gerade genug Platz für die Wanderer. Fließendes Wasser oder gar einen Stromanschluss gibt es hier nicht. Das stört auch nicht. Am Flusslauf lässt sich reichlich Wasser schöpfen und Taschenlampen gibt es ja schließlich auch noch.
Vor dem Abendessen suchen wir noch einige Aussichtspunkte auf. Einer davon liefert eine geniale Aussicht auf das kleine Städtchen, El Bolson, und das Tal, in dessen es gebetet ist. Zeit für ein erstes Gruppenbild. Das Abendessen ist reichhaltig und lecker. Schon bald danach schlüpft jeder in seinen mehr oder weniger warmen Schlafsack. Die Nacht ist kurz. Schon um 5 Uhr morgens soll es weiter gehen.
Noch sichtlich verträumt sitzen alle beim Frühstück. Die Nacht war durchmischt erholsam für die Gruppe. Dem einen war es zu warm, dem anderen zu kalt und dem nächsten zu laut. Ein Müsli, etwas Früchte und warme Milch, gewonnen aus bestem Milchpulver, müssen ausreichen, um auch das letzte bisschen Sand aus den Augen zu bekommen. Wir entfachen ein weiteres Feuer im Ofen. Es bleibt genügend Zeit sich am heißen Metall aufzuwärmen, danach geht es auch schon weiter.
Mit aufgeschulterten Rucksäcken führt die Wanderung uns weiter durch dicht bewachsenen Wald. Es geht steil Bergauf, weiter über Stock und Stein. Es ist noch ziemlich dunkel, dennoch schenkt uns das schwache Mondlicht gerade genug Licht, um auf die Taschenlampen zu verzichten. Es wird feucht um die Füße. Nicht jeder von uns hat die besten Wanderschuhe eingepackt. Schon bald sind die weichen Turn- und Treckingschuhe völlig durchnässt. Nur Lennart scheint bestens für die Wanderung vorbereitet. Mit seinen dicken Wanderschuhen führt er die Truppe an und lässt dabei keine Wasserpfütze aus. „Nach mir die Sintflut!“, denkt er sich wohl. Nur wenige Gehminuten vom Gebirgspass entfernt lässt sich die Sonne am Horizont blicken. Sie sendet warme Sonnenstrahlen und taucht die nahen Felswände in ein wunderschönes Rot-Orange.
Kurz danach finden wir einen wirklich beeindruckenden Tunnel, erbaut aus Eis und Schnee. Auf natürlichem Weg hat sich eine beeindruckende Kuppel über einem Wasserlauf gebildet. Im Zentrum ist das Eis dünn genug, um das wenige Tageslicht hindurchscheinen zu lassen. Es bilden sich wunderschöne Lichtspiele. Wir sind beeindruckt! Bei der Idee, dass Gebilde zu untergehen, würde wohl jeder Glaziologe den Kopf schütteln. Zur frühen Morgenstunde ist das Eis noch hart gefroren und einer kurzen Erforschung des Tunnels steht nichts im Wege. Es ist sicherlich nur noch eine Frage der Zeit bis jener unter seiner eigenen Last kollabiert. Besonders zur Mittagszeit, wenn intensive Sonnenstrahlen den Schnee aufweichen und weiter schmelzen lassen. Nach ein paar inszenierten Fotos wandern wir guter Laune weiter.
Kurz später erreichen wir den hohen Pass und blicken zum ersten Mal auf den massiven Felsgipfel des Berges. Majestätisch ragt dieser vor uns in die Höhe. Zeit für eine Pause! Während wir uns etwas stärken, diskutieren wir in der Gruppe, über eine mögliche Besteigung des Gipfels. Schnell wird klar, dass ohne eine vernünftige Alpinausrüstung das Gipfelglück ausbleiben wird. Ohne Steigeisen, Seil und Eisgeräte ist der Aufstieg schlichtweg zu gefährlich. Besonders die letzten Meter sehen aus der ferne extrem aus. Für eine spontane Wanderung wie die unsere, scheint das höchste Ziel erreicht. Wir genießen die umwerfende Aussicht auf die unweit entfernten Berge. Nur wenige Wolken sind zu sehen und der Blick reicht kilometerweit in die Ferne.
Es ist noch immer früh am Morgen. Lennart und ich entschließen uns deswegen, die Gegend um den Pass noch weiter zu erkunden. Wir wandern weiter dem Gipfel entgegen. Die immer noch feste Schneedecke bietet einen festen Tritt. Einige felsige Abschnitte „bescrambeln“ (Scrambling = eine Mischung aus Klettern und Wandern mit Hand und Füßen. Besonders beliebt in den Highlands von Schottland) wir gekonnt und nähern uns somit doch noch etwas dem Gipfel. Die Landschaft die uns zu Füßen liegt wird mit jedem Schritt zauberhafter. Mehr als einmal stehen wir fast sprachlos da, das Panorama ist ein wahrer Augenöffner.
Felix und Jakob begnügen sich derweilen mit einem Nickerchen im Sonnenlicht, wartend auf uns „Gipfelstürmer“. Maximal drei Stunden hatten wir für den Abstecher, rund um den Gipfel des Dedo Gordo, angesetzt. Das echte Gipfelglück bleibt, aus genannten Gründen, natürlich aus. Aber wenn kümmert es. Wir haben sehr viel Spaß und sind auf sicherem Fuße unterwegs. Von der anderen Bergseite rufen wir unseren Wanderfreunden zu. Das Echo halt deutlich durch die Luft. Wir fühlen uns frei und glücklich, als wir den für uns höchsten Punkt erreichen. Der Blick in das Tal ist gigantisch! Genau dorthin wird uns schon bald die weitere Wanderung führen.
Der Abstieg: Wieder zu viert, bahnen wir uns unseren Weg hinunter ins Tal. Die ersten Meter sind enorm steil und von losem Untergrund geprägt. Innerlich freue ich mich dieses Teilstück nicht in die andere Richtung begehen zu müssen. So schnell wir die Baumgrenze zum Morgen überwunden hatten, so schnell laufen wir dieser nun wieder entgegen.
Der abschließende Weg zurück zum Startpunkt führt einmal mehr durch dichten Wald, vorbei am Rio Azul, über noch mehr abenteuerliche Brücken, und rundet das Gesamterlebnis, dieser nur zweitägigen Wanderung, ab. Bis spät in die Nacht sind wir unterwegs und so mancher der Gruppe ist mit seinen Kräften sichtlich am Ende.
Es war eine tolle Zeit, hier – in den Bergen um El Bolson, hier – in Patagonien. Die nächste Wanderung lässt sicherlich nicht lange auf sich warten – ich werde berichten.
Bis Bald!
Martin
Super!
Sehr geile Sache! Wann hat man schon mal die Gelegenheit, die Berge Patagoniens unsicher zu machen? Danke das du uns an deinem Traum teilhaben lässt und uns so tolle Fotos präsentierst.
Da sieht man mal wieder das man viel zu hektisch unterwegs ist. Ich war im Dez. 2013 dort habe mir leider nicht die Zeit genommen zum anschauen. Dies hätte ich auch gerne erlebt.